Kopfschmerzen, Ehefrust, Stress auf der Arbeit – ein ganz normaler Tag?
6.15 h morgens in Deutschland, der Wecker klingelt. Barbara rappelt sich mühsam hoch; sie hat nicht gut geschlafen, ist mitten in der Nacht wach geworden und konnte dann nicht mehr einschlafen. Sie fühlt sich zerschlagen, müde, alles tut weh; außerdem kündigt sich ein bekannter Druck hinter dem linken Auge an. Jetzt bloß keine Migräneattacke, das fehlt gerade noch.
Aufstehen, schnell Frühstück fertig machen für die Kinder, unter die Dusche; hastig selbst einen Schluck Tee, zum gemütlichen Essen hat sie keine Zeit. Es ist kein Toilettenpapier mehr da, ob der Göttergatte wohl welches mitbringen könnte heute nachmittag?
Nee, hab genug zu tun, kümmer Dich doch selber drum. Na toll, vielen Dank auch, die Laune hängt schon direkt im Keller. Sie könnte ihn an die Wand klatschen in solchen Momenten, sieht der denn nicht, wie ihr eigentlich alles schon bis Oberkante Unterlippe steht?
Sieht er nicht offenbar, schon lange nicht mehr, eigentlich ist diese ganze Beziehung schon lange nicht mehr, was sie mal war.
Aber Barbara hat jetzt gerade keine Zeit, sich darum auch noch zu kümmern, das muß warten, wie schon seit Jahren. Schnell die Kinder auf den Weg in die Schule gebracht, noch eben ihre eigenen Sachen zusammengerafft und los in die Praxis.
Im Auto ist sie immer noch wütend, spielt wie so oft in letzter Zeit mit Gedanken an Trennung, Scheidung. Der Druck hinter ihrem linken Auge nimmt zu, zieht langsam zur Schläfe rüber. Sie atmet einmal tief durch, versucht, sich zu entspannen.
In der Praxis angekommen sitzen schon die ersten Patienten im Wartezimmer, sie ist spät dran. Wirft schnell ihren Mantel an die Garderobe, checkt kurz mit ihrer Mitarbeiterin, gibt´s irgendetwas? Ja, es gab Rückfragen von einer Versicherung wegen einer Rechnung und Frau Soundso hat schon zweimal angerufen, sie hat noch Fragen zu ihrer Behandlung und bittet dringend um Rückruf. Ok, mach ich nachher; jetzt erstmal die ersten Behandlungen geben.
Der Vormittag geht so weiter, ein Termin, eine Aufgabe, eine Anforderung jagt die nächste. Die Kopfschmerzen werden schlimmer, deutlich schlimmer, der dumpfe Druck hat sich inzwischen zu einem tiefen Pochen und bohrenden Schmerz hinter dem Auge gesteigert. Barbara fühlt sich erschöpft und gereizt, ihr Nacken schmerzt – der Tag ist kaum halb rum und sie will eigentlich schon nur noch ins Bett. Aber der Terminkalender ist voll, absagen kommt nicht in Frage, so schlimm ist es noch nicht, sie kennt das ja. Jedesmal, bevor sie ihre Tage kriegt, kommt diese Migräne, die schlechte Laune, die Dünnhäutigkeit. Und die Nackenverspannungen sind eh normal, so ist das halt, wenn man beruflich selbstständig ist und gleichzeitig Familie hat. Also schnell eine Tablette, die stärkeren, die anderen helfen nicht. So wird sie wahrscheinlich bis zum Abend durchhalten.
Der ganz normale Alltagswahnsinn halt – oder?
Termine, Stress, To Do´s – unser alltäglicher Wahnsinn
Erkennst Du Dich wieder? Kommt Dir irgendetwas an dieser Geschichte bekannt vor? Mir so einiges, sowohl aus meinem eigenen Leben als auch aus dem vieler meiner Patienten, Freunde und Familienmitglieder.
Ein von morgens bis nachts eng durchgetakteter Tag, kaum Zeit für Pausen, eine Million Anforderungen, tausend Dinge im Blick zu behalten, an zig Fronten gleichzeitig agieren müssen. Ungelöste Konflikte, die den Druck noch verstärken, angespannt, erschöpft, frustriert. Der Körper sendet Signale, an die wir uns längst gewöhnt haben; die meisten von uns empfinden es bis zu einem gewissen Grad als normal, Schmerzen, Unwohlsein und Schlafstörungen zu haben (um nur ein paar Beispiele zu nennen). Manchmal bis zu einem erschreckend hohen Grad.
Und unser Körper reagiert auf diesen Streß meistens mit ähnlichen, wiederkehrenden Symptomen: Muskelverspannungen (besonders gerne im Nacken), Kopfschmerzen (gerne seitlich am Kopf oder einseitig, um die Augen herum), Schmerzen im ganzen Körper (alles fühlt sich steif an und wie „zu kurz“). Trockenen, juckenden Augen, verschwommene Sicht, Durchschlafstörungen, Verdauungsprobleme, Erschöpfung.
Bei Frauen auch gerne noch PMS, Schmerzen vor oder bei der Mens, zyklusabhängige Kopfschmerzen.
Auch unsere Seele reagiert: wir sind leicht reizbar, haben eine „kurze Leitung“, fahren schon wegen Kleinigkeiten aus der Haut. Wir ärgern uns viel, sind frustriert und unzufrieden in unserem Leben, haben schnell die „enge Kappe auf“.
Die Leber wächst an ihren Aufgaben?
Und was bedeutet das? Das bedeutet kurz gesagt, dass unserer Leber die Puste ausgeht. Dass sie extrem gefordert und eigentlich schon länger völlig überfordert ist; dass wir sie weit über ihre Kapazitätsgrenze hinaus belasten.
Wieso denn die Leber, magst Du Dich fragen. Von Alkohol oder Drogen war doch jetzt in der ganzen Geschichte gar keine Rede. Stimmt. Obwohl der dann oft genug auch noch dazu kommt – zum Feierabend, zur Entspannung, zur Belohnung. Irgendwie muß man ja mal runterkommen, das Gläschen Wein, das Fläschchen Bier habe ich mir jetzt auch redlich verdient!
Macht die Gemengelage leider nicht eben besser. Selbst ohne die „little helper“ ist unsere Leber in solchen und vergleichbaren Lebenssituationen schon arm dran; tatsächlich ist sie für unseren ganz normalen Alltagswahnsinn nicht geschaffen.
Um das zu verstehen, schauen wir uns doch mal genauer an, was wir Chinesen eigentlich meinen, wenn wir von „der Leber“ sprechen. Dazu begeben wir uns erneut in die wundervolle Welt der 5 Wandlungsphasen…(wer noch nicht weiß, was damit gemeint ist, kann das im ersten Teil dieser Serie nachlesen.)
Die Wandlungsphase Holz – der Frühling in uns
Du hattest ja bereits im ersten Teil dieser Serie erfahren, dass die Niere zur Wandlungsphase Wasser gehört, die den Winter in uns repräsentiert. Die Leber wiederum gehört nun zu nächsten Wandlungsphase im Zyklus: der Wandlungsphase Holz, dem Frühling.
Schließe mal für einen Moment die Augen – welche Bilder steigen in Dir auf, wenn du an den Frühling denkst? Licht, Sonne, ein laues Lüftchen auf der Haut. Vogelgezwitscher, ein frischer, verheißungsvoller Duft in der Luft. Gestern noch war alles grau-braun, noch im winterlichen Tiefschlaf; heute morgen plötzlich, wie von Zauberhand, zeigt sich überall das erste frische Grün, wie von zarter Hand mit dem Pinsel hingetupft. Wenn Du genauer hinschaust, sprießt und drängt es nun von allen Seiten, in einem beinahe wahnwitzigen Tempo bricht das Leben aus allen Poren. Innerhalb von wenigen Stunden, Tagen, ist die ganze Welt auf einmal in Farben getaucht; zunächst alle möglichen und unmöglichen Spielarten von Grün, dann sehr bald kommen weitere Töne dazu: von zartem Weiß und Gelb über kräftiges Pink, lila-blau, orange, rot – als ob einem göttlichen Monet seine Farbpalette explodiert wäre präsentiert sich die Natur in verschwenderischer Pracht.
Keine gemächliche, allmähliche Entwicklung, sondern schnell, heftig, überraschend, beinahe überirdisch kreativ.
Und das wirkt sich auf unser Lebensgefühl aus: wir werden wacher, unternehmungslustiger, besser gelaunt, es drängt uns nach draußen, in Bewegung. Wir kriegen Lust, neue Projekte anzugehen, den Garten umzugraben, die Blumenkästen frisch zu bestücken, die Fensterläden endlich neu zu streichen, den neuen Roman endlich anzufangen, die neue Webseite anzugehen.
Ein Wort zum Thema Frühjahrsmüdigkeit
Auch in unserem Körper fließt das Leben wieder schneller durch seine Bahnen; alle Energie und Substanzen, die sich für den Winter tief nach innen zurückgezogen hatten zur Regeneration drängen jetzt nach außen und nach oben, der Wärme und dem Licht entgegen.
Das alles ist ein ganz natürlicher Vorgang, im Frühling kommen wir wieder auf Touren – falls, und nur falls, wir uns im Winter den wirklich erholt haben. Wenn wir uns ein wenig zurückgezogen, uns ein wenig ausgeruht und uns etwas weniger vorgenommen haben. Mehr geschlafen, mehr auf dem Sofa gekuschelt und mehr die Seele baumeln gelassen haben.
Haben wir hingegen im Winter einfach „durchgezogen“, kommen wir im Frühling oft nur schwer in die Gänge – die berüchtigte „Frühjahrsmüdigkeit“ hat uns voll im Klammergriff.
Flexibel, Biegsam und im Fluss - Die Leber bewegt uns
Und wie paßt die Leber jetzt in dieses Bild? Die Leber repräsentiert – zusammen mit ihrer Partnerin, der Gallenblase - diese Energie von Frühling in unserem Körper.
Die Leber ist von Hause aus großmütig und freigiebig, sie sorgt dafür, dass die Energie, das Qi aus den unteren Bereichen unseres Körpers nach oben aufsteigen kann und dabei gleichmäßig überall im Körper verteilt wird.
Etwas ähnliches macht sie mit unserem Blut: zum einen speichert die Leber viel Blut (auch in der westlichen Betrachtungsweise ist die Leber ein üppig mit Blut gefülltes Organ), zum anderen sorgt sie dafür, dass das Blut (bei Frauen vor allem auch das Menstruationsblut) sanft und gleichmäßig durch unseren Körper bewegt wird.
Dazu nutzt sie als kosmische Energie übrigens den Wind: so wie die Kälte naturgemäß in den Winter und damit zu unseren Nieren gehört, so kommt im Frühling ein laues Lüftchen auf, welches im besten Fall sanft und freundlich die natürliche Bewegung unterstützt.
Und da sie insgesamt so viel mit Bewegung (sowohl im Innen als auch im Außen) zu tun hat, kontrolliert sie auch unsere Muskelkraft und – spannung (Tonus der Muskulatur) und nährt die Sehnen und Bänder. Die Leber ermöglicht und fördert also unsere Bewegung und Beweglichkeit, sowohl auf körperlicher als auch auf geistiger Ebene.
Lebe Dein Potential - Die Leber bringt unsere authentischen Impulse in die Welt
Die Leber verfügt demnach über eine sehr dynamische, sehr vitale, nach oben und außen gerichtete Kraft. Als nächste Wandlungsphase nach dem Winter ist sie als Repräsentantin des Frühlings auch dafür zuständig, unsere authentischen Lebensimpulse, die in den Nieren gehütet werden und von dort aufsteigen (s. den 1. Teil dieser Serie), aufzunehmen, sie auszudehnen und nach draußen in die Welt zu bringen.
Wie die Samenkörner, die im Winter tief im noch gefrorenen Boden schlummern und dennoch bereits das gesamte Potential enthalten, später zu einer mächtigen Eiche heranzuwachsen, liegt unser kostbares Saatgut, liegen all unsere Talente, Begabungen, individuellen Anlagen und Schätze, in der Tiefe der Nieren geborgen und warten darauf, Schritt für Schritt von unserer Leber quasi aufgegriffen, in Bewegung gebracht, zum Wachsen angeregt und „verlebendigt“ zu werden.
Diese Stelle ist wichtig, um nachher zu verstehen, warum in unser aller Leben die Leber so oft so aus dem Tritt gerät – also schon mal merken, mehr dazu gibt´s gleich weiter unten.
Und in diesem Zusammenhang gibt es noch eine weitere, in unserer modernen Welt ganz besonders wichtigen Stelle:
Wut ist Kraft – und das natürliche Gefühl der Leber
Das hättest Du jetzt nicht gedacht, stimmt´s? Das Wut tatsächlich ein sehr natürliches und in Wirklichkeit auch überaus gesundes Gefühl ist? Wut ist zunächst einfach die natürliche Reaktion der Leber auf Störungen in unserem Lebensfluss und damit auf Hindernisse in der freien und ungehinderten Ausbreitung unserer Leber-Energie, sprich: unserer Lebendigkeit.
Die Wut gehört also zum „natürlichen Inventar“ der Leber, sie weist uns darauf hin, das etwas schiefläuft, dass wir uns ausbremsen (lassen), dass wir nicht unseren ureigenen Impulsen folgen, dass wir unsere Kraft und Lebendigkeit unterdrücken und begrenzen (lassen).
Kraft will gelebt werden
Sehr schön sehen kann man das an kleinen Kindern: einer unserer stärksten Impulse bevor wir noch ein Jahr alt werden ist der, uns aufzurichten und Laufen zu lernen. Und wie machen die kleinen Helden das? Sie krabbeln erstmal irgendwohin, wo sie sich hochziehen können. Dann arbeiten sie sich mit vollem Körpereinsatz in die Senkrechte, bis sie – wackelig und stolz – auf ihren eigenen Füßen stehen. Und dann geht´s ab: Jetzt kommt die unglaubliche Mutprobe, die sichere Stütze loszulassen und- schwankend und permanent nach Gleichgewicht suchend – die ersten noch tapsigen Schritte in die – mit einem Mal VIEL größer werdende - Welt und damit in einen ganz neuen Lebensabschnitt zu wagen. Voll konzentriert und wieder unter Einsatz des gesamten Körpers setzen sie einen Schritt vor den anderen, bis dann irgendwann – plumps.
Und jetzt wird es nochmal interessant: Wenn wir unsere Kinder nicht behindern, wollen sie meistens gleich wieder aufstehen und weiter üben. Also brauchen sie jetzt wieder etwas, woran sie sich hochziehen können. Aber wehe, es ist gerade kein Stuhl- oder Hosenbein in Reichweite: Ra-bäääh, Gebrüll! Und warum? Aus Frust! Ich will jetzt laufen verdammt nochmal und hier geht´s nicht weiter, was für ein Mist!
Und dann? Dann kommt entweder ganz schnell ein Hosenbein angelaufen oder der Zwockel rappelt sich wieder auf alle Viere und krabbelt zum nächsten Tisch – und arbeitet sich wieder hoch.
Energie umsetzen macht zufrieden
Der ganze Vorgang ist Leber-Energie in Reinkultur: Einen authentischen Impuls haben, die dafür zur Verfügung stehende Energie nutzen und in (in dem Fall: körperliche) Bewegung umsetzen, die uns der Umsetzung dieses Impulses näher bringt. Mit den natürlichen Unterbrechungen von Hinfallen-Aufstehen-Krönchen richten-Weiter üben.
Wenn uns beim Laufen lernen (oder bei welchem anderen Projekt auch immer) niemand hindert, verbrauchen wir auf ganz natürliche Weise unsere Energie dafür, bis es gut ist und wir entweder am Ziel sind oder eine Pause brauchen. Kraft 1a umgesetzt, Leber entspannt und zufrieden.
Was aber, wenn jetzt irgendein z.B. gestresster Erwachsener kommt und findet, wir müssten jetzt aber zurück in den Kinderwagen/auf den Arm/ins Bett gar, um Mittagsschlaf zu halten? Dann ist hoffentlich was los! Nein, nein, nein, wir wehren uns, strampelt, heulen, brüllen, wir wollen wieder runter und weiter laufen lernen, das ist doch jetzt viel wichtiger als alles andere!
Frust ist nicht gelebte Kraft
Erinnert Dich das an was? Bzw., an jemanden? Im Vertrauen, wie oft in Deinem Leben fühlst Du Dich genau so? Im vollen Lauf ausgebremst, abgestoppt, gehindert? Von Dir selbst und/oder von anderen? Oder – ganz in preußischer Gesinnung – den Impuls schon im Keim erstickt bzw. gar nicht erst zugelassen, weil die Pflicht ruft und ja bekanntlich auch immer vorgeht? Erst kommt die Arbeit – und dann sind wir zu müde für´s Vergnügen. Oder?
Eigentlich würde ich ja gerne, aber a) ich habe keine Zeit, b) ich habe jetzt etwas anderes auf dem Plan/der ToDo-Liste, c) ich traue mich nicht oder d) der oder die läßt mich nicht (was in Wirklichkeit eher eine Variante von c) ist)?
Frust und Ärger sind daher nichts anderes als nicht gelebte Kraft, unterdrückte Lebendigkeit und Kreativität. Spannend, oder? Wenn wir unsere Energie z.B. nicht einsetzen, um kreativ und lebendig unsere Ehekonflikte zu lösen, sondern uns stattdessen lieber ärgern und frustrieren (wie Barbara in unserem Beispiel), dann verknoten wir damit unsere Leber.
Damit haben wir schon mal einen sehr wichtigen emotionalen Grund für die so weit verbreiteten Störungen der Leber enttarnt.
Es gibt noch einen weiteren, der mit diesem ersten Aspekt in engem Zusammenhang steht; dafür betrachten wir jetzt die geistige Seite der Medaille:
Planung, Entscheidungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen – die Leber ist unser General
Wie immer in der Chinesischen Medizin gehören neben den körperlichen und emotionalen auch geistige Aspekte zu jedem Organ. Zu Leber und Gallenblase gehört die Fähigkeit zu planen, Strategien zu entwerfen, den Überblick zu behalten und wenn nötig Entscheidungen zu treffen und diese dann auch durchzusetzen. Die alten Chinesen sagen daher: die Leber ist in unserem Körper-Staat der General.
Für diese Funktionen steht ihr eine bestimmte Kapazität zur Verfügung (je nachdem, wie entspannt und reich an Blut sie so ist). In unserem heutigen Lebensstil ist die Leber aber permanent überlastet durch viel zu viele Anforderungen von außen (wie in unserem Beispiel mit Barbara) und schlechte Angewohnheiten (zu spät schlafen, zu viel auf den Bildschirm/auf´s Handy/in den Fernseher starren, zu viel Input, Überarbeitung etc.) - je komplizierter wir leben, desto schlimmer wird es!
Außerdem neigen gerade wir Deutschen dazu, geradezu „stupidly honest“ zu sein: zu rechtschaffen, zu gewissenhaft, zu perfektionistisch, zu verbissen. Das liegt der großmütigen Leber nicht; wie der Frühling möchte sie sich lieber verschenken, kreativ und fließend etwas (er-)schaffen, dazu braucht sie eigentlich Flexibilität in unserem Alltag, in unserer Arbeit, in unserem Denken.
Und damit ist unsere Leber meistens schon ziemlich am Anschlag bzw. bereits überlastet. Kommt dann noch die bereits erwähnte emotionale Komponente z.B. in Form von ungelösten Konflikten und Frustration hinzu, geht es unserer Leber gar nicht mehr gut.
Druck, mehr Druck, Überdruck - Die Leber als Dampfkochtopf
Wenn es unserer Leber nun aber nicht gut geht, kommt sie schnell aus dem Tritt. Da sie die beiden recht gegensätzlichen Aufgaben hat, viel Energie (Qi) zu bewegen einerseits als das Blut zu speichern andererseits, „verhakelt“ sie sich schnell, wenn wir sie überlasten oder ausbremsen.
Und wenn die Leber sich „verhakelt“ (im Fach-Chinesisch sagen wir: die Leber stagniert), kehrt sich die oben beschriebene Dynamik leider gegen uns: die eigentlich erfrischende, kraftvolle Energie der Leber steigt nun nicht mehr geordnet auf, um uns zu bewegen und zu beleben, sondern sie verknotet sich erstmal unter unserem rechten Rippenbogen (dort sind Leber und Gallenblase zu Hause – und dort verspüren wir oft auch einen leichten bis schon richtig unangenehmen Druck – wenn wir mal genau hin fühlen).
Und wenn ein so dynamisches Organ wie die Leber sich verknotet, passiert etwas ähnliches wie in einem Dampfkochtopf: sie will eigentlich bewegen, kann aber nicht, versucht es trotzdem, wird wieder durch den Knoten gebremst usw. – und bei dem Versuch, ihrer Aufgabe trotzdem nachzukommen, kocht sie sich allmählich heiß. Oder eben auch gar nicht so allmählich, manchmal kann das auch sehr schnell gehen.
Wenn der Frühling uns zu Kopf steigt...Migräne, Schwindel & Co.
Durch dieses Heißkochen entsteht natürlich zunehmend Druck „unter´m Deckel“, und wenn der zu groß wird, schießt die Leberpower plötzlich in heftigen Wind-Böen unkontrolliert nach oben – und „nach oben“ heißt in diesem Fall meistens: in unseren Kopf.
Kopfschmerz- bis hin zu Migräneattacken, Schwindel, Krämpfe, in ganz schweren Fällen sogar Schlaganfall oder Herzinfarkt können die Folge sein.
Bevor das passiert, spüren wir meistens schon mal Nacken- und Schulterverspannungen (Du erinnerst Dich: die Leber kontrolliert auch den Muskeltonus) oder auch gelegentlich ein kleines Pfeifen im Ohr oder ein Sausen im Kopf.
Hast Du noch den Durchblick? Die Leber und die Augen
Erste Anzeichen dafür, dass unserer Leber langsam die Puste ausgeht, sind auch gerne Symptome, die unsere Augen und das Sehen betreffen (die Augen sind ja auch „oben“ in unserem Körper und gehören eh zur Leber): trockene, juckende und/oder gerötete Augen, verschwommene Sicht (wie ein Schleier vor den Augen), Nachtblindheit oder Entstehung bzw. Verschlechterung vorhandener Sehschwächen und erhöhter Augeninnendruck (Glaukom) gehören z.B. dazu; wenn schon ordentlich Hitze mit im Spiel ist, auch Entzündungen in und um die Augen wie Gerstenkörner, wiederkehrende Bindehautentzündungen etc..
Mit dieser Aufzählung von Symptomen könnte ich jetzt endlos weitermachen, Frau Leber ist schon für sehr viele „Alltags“-Beschwerden verantwortlich; aber ich denke, Du hast jetzt den Punkt.
Wut im Bauch? PMS und Menstruationsstörungen
Dir als aufmerksamer Leserin wird zudem schon aufgefallen sein, dass die Leber ja nicht nur unsere Energie, sondern auch unser Blut durch den Körper bewegt. Im Falle von uns Frauen heißt das vor allem: die Leber reguliert den sanften Fluss der Menstruation. Und wir alle wissen, dass Stress und Ärger sich nicht eben förderlich auf diesen Fluss auswirken; aus meiner langjährigen Praxiserfahrung weiß ich darüber hinaus, dass auch sehr viele chronische bzw. wiederkehrende Probleme in diesem Zusammenhang mit Frust, Stress und unterdrückter Lebendigkeit zu tun haben (und mit einem Übermaß an Sorgen, aber die gehören zu einem anderen Organ - zur Milz und der Wandlungsphase Erde).
An diesem Punkt meiner Geschichte verstehst Du jetzt auch, warum das so ist. Das ist schon mal ein sehr guter Anfang! Und damit dem Verstehen auch das Handeln folgen kann, gibt es jetzt zum Abschluß noch
10 Tipps für eine entspannte(re) Leber:
1) Leben “verschlichtern”: Alles schlicht halten hält die Leber entspannt – überprüfe Dein Leben und schau hin, wo es vielleicht möglich ist, Deinen Alltag „auszudünnen“ und Dich zu entlasten (Bsp.: Musst Du wirklich Kassenwart im Schützen-, Karnevals- UND Karnickelzüchterverein sein? Reicht vielleicht auch ein Chor? Kannst Du von 2 Nebenjobs einen aufgeben?)
2) „Go with the flow“: Nicht zu viel Zeit des Tages fest verplanen, Raum für Spontaneität und Nichtstun lassen und nicht sklavisch an Deiner Planung festhalten, wenn Du gerade jetzt eigentlich etwas anderes brauchst.
3) Beweg Dich regelmäßig: Nicht zu anstrengend, nicht leistungsorientiert! Qi Gong, Tai Ji, Yoga – über die Dehnung von Muskeln, Bändern und Sehnen läßt sich die Leber auch entspannen – löst Stagnationen in Körper und Geist.
4) Leberwickel: 2 – 3 x wöchentlich Leberwickel machen: einen Waschlappen oder ein kleines Handtuch mit heissem Wasser tränken, auswringen und unter den rechten Rippenbogen legen. Ein trockenes Handtuch darüber, Wärmflasche obendrauf, zudecken und so 30 Min. liegen bleiben (kann sehr gut helfen bei Schlafstörungen – nicht machen, wenn Du es mit Hitzewallungen zu tun hast!)
5) Mariendistel: Täglich ein paar Tropfen Mariendistel-Urtinktur (auf gute Qualität achten!) über 4 – 6 Wochen einnehmen, quasi als „Kur“.
6) Körperliche Entgiftung: Wenn Du Dich insgesamt übersäuert und stagniert fühlst, kann ich das Leberreinigungs-Programm von Dr. Sandra Cabot (dazu gibt es ein gutes Buch!) empfehlen: Es geht über 8 Wochen und beinhaltet eine Ernährungsumstellung, die der Leber sehr zugute kommt und stark entgiftet (v.a. ohne Zucker, Alkohol, rotes Fleisch und Weißmehlprodukte). Im Zweifel vorher mit Deinem*r Arzt*in oder Heilpraktiker*in abklären!
So, jetzt kommen die etwas langfristigeren Herausforderungen:
7) Konfliktbewältigung: Schwärende Konflikte klären, ggf. mit Hilfe von außen (gute Freunde oder Kollegen, Therapeutin). Wenn das nicht möglich ist, die Situation nutzen, um zu üben, einen gelasseneren Umgang mit Dingen zu finden, die Du (zumindest im Moment) nicht ändern kannst.
8) Konstruktiver Umgang mit Ärger und Frust: frag Dich jedesmal, wenn Du Dich ärgerst, wo Du Dich in dieser Situation von Dir entfernt hast. Hast Du z.B. wirklich Lust, das zu tun, was Du da gerade tust, oder tust Du es eher aus Pflichtgefühl o.ä.? Hast Du Dich zu oft unfreundlich behandeln lassen und Dich nicht getraut, den Mund aufzumachen? Traust Du Dich gerade nicht, Deine Wahrheit zu sagen und zu Dir zu stehen? (Meine Buchempfehlung hierzu: „The Dance of Anger” von Harriet Lerner, auf deutsch „Wohin mit meiner Wut?“ – eines der besten Bücher, die zum Thema Wut geschrieben wurden!) Oder bist Du vielleicht einfach überlastest und brauchst eine Pause/eine Auszeit? Vergiss nicht, die anderen sind NIE schuld, das Verb heißt nicht umsonst “SICH (selbst) ärgern”!
Das ist natürlich ein größeres Thema, hol Dir im Zweifel fachmännische Unterstützung!
9) Wutbriefe “frei von der Leber weg”: Nochmal Entgiftung, diesmal emotional. Insbesondere wenn Du mit einer bestimmten Person im Clinch liegst (Mütter und Partner z.B. eignen sich hervorragend für solche Konstellationen...;-)), schreib ihr oder ihm Wutbriefe (die Du natürlich NICHT abschickst, dienen erstmal nur Deiner seelischen Entmüllung). In diesen Briefen darfst Du mal völlig unzensiert und unreflektiert vom Leder ziehen, ungerecht, vorwurfsvoll, kindisch und beleidigend sein und Dich im wahrsten Sinne des Wortes „auskotzen“! Bitte sei dabei mal nicht verständnisvoll, kontrolliert oder „gut-menschig“: gib´s ihr oder ihm so richtig! Das ist unglaublich befreiend – aufgestaute Wut braucht erstmal ein Ventil und einen Ausdruck, sie will gehört und ernst genommen werden. Ich liebe diese Methode sehr, da sie alles möglich macht, ohne dabei irgendeine Aussenwirkung zu entfalten – Du brauchst also keine Angst vor „verbrannter Erde“ zu haben!
Tu das so oft und so lange, bis Du Dich klarer und entspannter fühlst; der nächste Schritt wäre dann wieder 8)...
10) Mach Dir eine Liste: „Wenn ich wüßte, was wirklich gut für mich wäre, dann...“ Der Konjunktiv ist hier ein hübscher Trick, unseren inneren Saboteur leer laufen zu lassen, denn Du behauptest ja nicht wirklich, es zu wissen, Du tust ja nur mal so, als ob...;-). Du wirst überrascht sein, wie genau Dein Unterbewußtsein in Wirklichkeit weiß, was gut für Dich wäre; und jetzt fang an, diese Dinge umzusetzen!
Und damit Du diese Liste im Alltag immer mal wieder zu Hand nehmen, sie Dir über´s Bett, ins Bad, über den Schreibtisch und in die Küche hängen kannst ;-), gibt´s hier noch die:
Ok, das war jetzt viel an Information. Aber das Thema hat es auch in sich: Die Leber ist unser stressanfälligstes Organ und nach meiner Erfahrung allein schon durch unseren modernen westlichen Lebensstil bei den meisten von uns wirklich arg gebeutelt. In meiner Praxis führe ich beinahe täglich mit meinen Patienten Gespräche zum Thema Wut, Konfliktbewältigung, Entlastung etc.!
Vielleicht ist Dir aufgefallen, dass das so erschreckend zunehmende Thema BurnOut auch sehr viel mit dem hier Geschriebenen zu tun hat – das ist mir vielleicht demnächst nochmal einen eigenen Artikel wert.
Danke, dass Du mir durch diesen heißen Ritt bis hierhin gefolgt bist; ich hoffe, Du kannst mit dem ein oder anderen schon konkret für Deinen Alltag etwas anfangen.